Generalstreik in Griechenland

Am Mittwoch legte ein Generalstreik weite Teile des öffentlichen Lebens in Griechenland lahm. Der Flug- und Schiffsverkehr im Land kam fast vollständig zum erliegen, da sich Fluglotsen und Fährpersonal beteiligten. Viele Inseln des Landes waren 24 Stunden lang quasi von der Außenwelt abgeschnitten. Es war der größte Streik in Griechenland seit über zehn Jahren.

Nach Gewerkschaftsangaben legten rund 2,5 Millionen Arbeiter und Angestellte die Arbeit nieder, das entspricht fast der Hälfte aller griechischen Arbeitnehmer. Das umfasste auch Teile der arbeitenden Bevölkerung, die ansonsten kaum an Streiks und Protesten beteiligt waren. Bereits am Dienstag traten Bankangestellte, Staatsbedienstete, Rechtsanwälte und Lehrer in den Ausstand, was dazu führte, dass zahlreiche Schulen, Banken und öffentliche Einrichtungen geschlossen blieben.

In Arztpraxen und Kliniken wurden nur dringende Fälle behandelt, da angestellte Ärzte und Pflegepersonal dem Aufruf folgten. Durch die Beteiligung der Journalisten gab es am Mittwoch keine Nachrichten in Radio und TV. Am Donnerstag erschienen keine Zeitungen. Eine große Anzahl von Piloten und Flugbegleitern der staatlichen Olympic Airways protestierten außerdem gegen die geplante Privatisierung des Unternehmens.

Weitere Streiks wurden bereits für nächste Woche angekündigt. Dann sollen auch Apotheker, Zahnärzte und medizinisches Personal für 24 Stunden die Arbeit niederlegen. Auch die Gerichte bleiben erneut zwei Tage geschlossen.

In Athen und Thessaloniki kam es zu Protestveranstaltungen, an denen sich insgesamt über 100.000 Menschen beteiligten. In der Hauptstadt unterbrachen die Bus-, Tram- und Metrofahrer ihren Ausstand, um die Teilnehmer zu den Kundgebungen zu bringen. An den Protesten nahmen viele Schüler, Studenten und Rentner teil. In Athen kam es dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Tränengas einsetzte.

Die Streiks und Proteste richten sich vor allem gegen die geplante Rentenreform der konservativen Regierung unter Premierminister Kostas Karamanlis. Diese sieht eine Erhöhung der Beitragsjahre in die gesetzliche Rentenkasse vor, was faktisch eine Anhebung des Rentenalters bedeutet. Momentan liegt das Renteneintrittsalter für die meisten bei 65 Jahren.

Nach dem Willen der Regierung sollen die bislang nebeneinander existierenden Rentenkassen zusammengefasst werden. Da diese unterschiedlichen Umfang und Sicherheiten haben, wird befürchtet, dass dadurch das allgemeine Rentenniveau weiter gesenkt und das defizitäre Rentensystem zu Lasten der Rentner und Arbeiter konsolidiert wird.

Bereits Ende November war es deshalb zu Arbeitsniederlegungen gekommen. Das Personal der staatlichen Sozialversicherungsanstalt sowie die Beschäftigten der Privatbank Alpha waren in einen zweitägigen Ausstand getreten, und auch Journalisten und Lehrer hatten eine Woche später die Arbeit für einen Tag niedergelegt.

Die Rentenreform ist Teil eines umfangreichen Reformpaketes, dass die Regierung nach den Wahlen im September geschnürt hatte, und das unter anderem tief greifende Reformen in den Bereichen Rente, Gesundheit und Bildung vorsieht. Bereits in den letzten Jahren hatten die Konservativen einen Sparhaushalt nach dem anderen verabschiedet. Und obwohl die Gesamtverschuldung des Landes um über fünf Prozent gesenkt wurde, beinhaltete der im Oktober verabschiedete Haushalt erneut drastische Einsparungen.

Weiterhin wird auch an der Reform des Bildungswesen festgehalten. Bereits im vergangenen Jahr war es deswegen zu massiven Protesten von Studenten und Lehrern gegen die Pläne der Regierung gekommen, Studiengebühren einzuführen und die Universitäten teilweise zu privatisieren. Über Wochen hinweg hatten die Studenten dagegen demonstriert und Universitäten und Hochschulen besetzt.

Einige Kommentatoren sprachen von einem "Crash-Test" für die Regierung. "Der landesweite Streik am Mittwoch ist ein ernsthafter Test für die Reform-Agenda der Regierung", erklärte auch der Gewerkschaftssprecher Efstathios Anestis gegenüber der Tageszeitung Vima. Karamanlis und die ND sind allerdings fest entschlossen, jede Opposition gegen ihre Politik niederzuringen, und kündigten unmittelbar nach dem Streik an, ihre Reformpolitik entschlossen weiter zu führen. Karamanlis betonte am Rande des Treffens der EU-Regierungschefs in Lissabon, dass es zu den geplanten Maßnahmen keine Alternative gebe.

Bei den Wahlen im September hatte sich Karamanlis konservative Nea Dimokratia (ND) trotz deutlicher Verluste und einer merklichen Linksentwicklung unter den Wählern eine knappe Regierungsmehrheit sichern können. Karamanlis’ rechte Regierung trat mit dem Ziel an, das verbliebene Sozialsystem zu zerschlagen und damit den Forderungen der europäischen und internationalen Finanzinstitutionen nachzukommen. So behielt auch der umstrittene Finanzminister Giorgos Alogoskoufis sein Ressort, der maßgeblich den strikten Reformkurs mitbestimmt.

Karamanlis hatte damals die Wahlen vorgezogen, um die geplanten Reformen mit einem "starkem Mandat" der Wähler durchzusetzen. Die Brandkatastrophe, die wenige Wochen vor den Wahlen weite Teile des Landes verwüstet hatte, machte dem einen Strich durch die Rechnung. Die scharfe Kürzungspolitik der vorangegangenen Jahre, Korruption und Vetternwirtschaft waren ursächlich dafür, dass sich die Waldbrände zu einer Tragödie entwickelten, in der zigtausend Hektar Boden und Wald verbrannten und Tausende Menschen ihrer Existenz beraubt wurden. Zurecht machte die Bevölkerung sowohl die ND als auch die Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK), die Griechenland zuvor jahrzehntelang fast ununterbrochen regiert hatte, dafür verantwortlich.

Zu den Streiks riefen die beiden größten griechischen Gewerkschaftsverbände GSSE und ADEDY auf. Beide haben eine lange Tradition der Zusammenarbeit mit der politischen Elite des Landes. Insbesondere zur PASOK pflegen die Gewerkschaften enge Kontakte.

Trotz ihres teilweise militanten Auftretens und ihrer Ankündigungen weiterer Streiks ist kaum zu übersehen, dass sie einer Konfrontation mit der ND-Regierung ausweichen. Im April letzten Jahres beispielsweise stimmte die GSSE einer Kollektivvereinbarung mit dem griechischen Industriellenverband zu, der erhebliche Zugeständnisse bei Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen beinhaltete. Die Lehrergewerkschaft DOE würgte den Streik der Lehrer im letzten Jahr ab und gab damit der Regierung die Möglichkeit, sich zu stabilisieren.

Auch jetzt, nachdem die Regierung nicht von ihrem Kurs abrückt, sicherte GSSE-Chef Yannis Panagopoulos seine Verhandlungsbereitschaft zu. "Wir lehnen den Dialog nicht ab", aber "die Regierung wählt statt eines Dialog den Monolog", sagte er.

Die oppositionellen politischen Parteien versuchten aus dem Protest der Bevölkerung Kapital zu schlagen. Der Gipfel der Unverschämtheit war dabei die Teilnahme einer Delegation der PASOK. Diese hatten während ihrer Regierungszeit mehrmals Anläufe unternommen, die Renten zu kappen. Als das letzte Mal 2001 der Versuch unternommen wurde, das Rentensystem zum Nachteil der Beschäftigten radikal umzugestalten, war es ebenfalls zu massiven Protesten gekommen, die die damalige PASOK-Regierung zur Rücknahme ihrer Pläne zwangen und beinahe zu deren Sturz führten.

Auch das Links-radikale Bündnis SYRIZA nahm an den Protesten teil. In ihm sind alle möglichen linken Gruppierungen aufgegangen. Es dient seit einiger Zeit als Auffangbecken für enttäuschte PASOK-Anhänger. Mit dem anhaltenden Niedergang der Sozialdemokratie in Griechenland kommt dem Bündnis immer größere Bedeutung zu. Seit den Wahlen werden die Signale zwischen PASOK und SYRIZA über eine mögliche Zusammenarbeit immer deutlicher.

Auch die ultra-rechte LAOS, die nach den Wahlen im September erstmals im Parlament vertreten ist, nahm an der Kundgebung teil. Sie hat zwar keinerlei Basis in der Arbeiterklasse, versucht allerdings den Unmut der Bevölkerung über Konservative und Sozialdemokraten für sich nutzbar zu machen.

Die Kommunistische Partei (KKE) und die ihr nahe stehende Gewerkschaft PAME organisierten eine separate Protestkundgebung. Doch das bedeutet nicht, dass sie auch eine andere Politik als PASOK und die ihr nahe stehenden Gewerkschaften betreiben. Die KKE ist die älteste Partei Griechenlands und genoss in den Jahren nach der Militärdiktatur ein gewisses Ansehen in der Bevölkerung. Bis Ende der 80er Jahre hatte sie sich stark an Moskau orientiert. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion brach auch die KKE ein. Nach der Abspaltung mehrerer Flügel ist heute nur noch ein harter Kern von Ex-Stalinisten übrig geblieben, und selbst dieser wird von internen Grabenkämpfen zerrissen. Politisch agiert die KKE seit dieser Zeit als Hilfstruppe für die PASOK. Wenn sie sich jetzt etwas stärker distanziert, dann nur weil sie in Sorge ist, vom Niedergang der PASOK mitgerissen zu werden.

Siehe auch:
Parlamentswahlen in Griechenland: Konservative profitieren vom Niedergang der Sozialdemokraten
(19. September 2007)
Nach den Waldbränden in Griechenland gerät die Regierung unter Druck
(1. September 2007)
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